Fluoride, Fissurenversiegelung, Prophylaxe

Auch bei Kindern ist die erste und wichtigste Maßnahme der Kariesprävention das Zähnebürsten. Periodontalerkrankungen spielen bei Kindern meist nur eine untergeordnete Rolle - zwar tritt bei unzureichender Mundhygiene rasch eine akute Gingivitis (Zahnfleischentzündung) auf, welche sich durch Bluten, Schmerzen, Mundgeruch und Schwellung bemerkbar macht, doch Knochen- und Befestigungsverlust sind damit nur sehr selten verbunden.
Da Kinder trotz guter Anleitung durch die Eltern frühestens ab dem Schulalter zu einer effektiven Putztechnik in der Lage sind, ist es notwendig, daß bis dahin die Eltern in jedem Fall gründlich nachbürsten, nachdem das Kleinkind die Bürste spielerisch im Mund bewegt hat. Dies sollte nach jeder Nahrungsaufnahme erfolgen, insbesondere aber nach dem Konsum von Süßigkeiten.
Im Milchgebiß genügt es dazu, systematisch in allen vier Quadranten über die Kauflächen zu bürsten, die Seitenflächen der Zähne werden dabei gleichsam erfaßt. Eine harte Zahnbürste läßt die Borsten nicht so leicht umbiegen, wodurch die Vertiefungen nicht mehr gereinigt würden und das Bürsten somit rasch ineffektiv würde. Begonnen werden muß damit beim Durchbruch der ersten Milchzähne, typischerweise im Alter von 6 Monaten, auch gegen den Widerstand des Kindes, welches in diesem Alter naturgemäß für das Bürsten noch wenig Verständnis aufzubringen vermag.
Wenn die ersten bleibenden Zähne, die ersten Molaren (Backenzähne) durchbrechen, müssen diese unbedingt in die Reinigung einbezogen werden. Kindern, die in dieser Zeit beginnen, selbständig und ohne elterliche Hilfe zu bürsten, müssen diese Zähne im Spiegel gezeigt werden, damit sie die Zahnbürste fortan auch dorthin führen und sie beim Bürsten einbeziehen.
Viele Eltern sind der Meinung, daß die Frontzähne die ersten bleibenden Zähne wären, dem ist aber nicht so: Die ersten bleibenden Zähne brechen hinter den letzten Milchzähnen durch und sind die wichtigsten Zähne zum Kauen überhaupt. Nach dem Durchbruch sind sie sehr anfällig für Karies, erst durch den Mineralaustausch in der Mundhöhle werden sie im Laufe der Zeit immer widerstandsfähiger gegen Karies. Ist die Mundhygiene bei deren Durchbruch unzureichend und besteht in der Mundhöhle ein kariogenes Milieu mit Besiedelung durch den Leitkeim für Karies, Streptococcus mutans, so können die ersten bleibenden Molaren innerhalb weniger Wochen kariös werden.    

Bakterielle Plaque
Im Gegensatz zu Periodontalerkrankungen, deren Ursache in einer Mischinfektion durch verschiedene Bakterien liegt (siehe Beitrag 8/2011), wird Karies durch den Leitkeim Streptococcus mutans verursacht, wenn auch in tiefen kariösen Läsionen weitere Bakterienarten, wie z.B. Lactobazillen zu finden sind. Streptococcus mutans und andere Bakterien der Mundhöhle bilden bei deren Vermehrung und ausreichender Substratzufuhr (in erster Linie Saccharose (= Rohr- oder Rübenzucker)) als Nahrungsreservoir und Befestigung an der Zahnoberfläche ein klebriges, wasserunlösliches Netzwerk, die bakterielle Plaque. In dieser Plaque wird der pH-Wert durch Milchsäureproduktion als Stoffwechselprodukt von Streptococcus mutans stets niedrig sein - durch die langanhaltende Einwirkung von Milchsäure auf die Zahnhartsubstanzen werden dort Mineralien herausgelöst und die Kristallstruktur des Hydroxylapatits wird zerstört. Zunächst bleibt hierbei die Zahnoberfläche noch erhalten, da der Prozeß unterminierend beginnt. In diesem frühen Stadium der Karies sind diese demineralisierten Zonen als weißliche Stellen sichtbar. (Sistiert der Prozeß der Demineralisation, können sich Farbstoffe einlagern, diese Stellen werden dann braun. Derartige braune Stellen lassen sich durch Politur nicht beseitigen, da die Farbstoffe ja unter der Zahnoberfläche eingelagert sind.)
Es muß hier nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die Plaque wasserunlöslich und klebrig ist. Daher kann sie nur durch Bürsten entfernt werden, Mundduschen und Mundspülungen, selbst alkoholhaltige, sind hierbei ineffektiv. (Für eine antibakterielle Wirkung müßte die Alkoholkonzentration mindestens 80% betragen, was aus mehreren Gründen nicht möglich ist.) Das einzige wirksame antibakterielle Medikament in Form einer Mundspülung ist Chlorhexidin in einer Konzentration von 0,2%. Vom Dauergebrauch sollte aber abgesehen werden, da sich durch Chlorhexidin schwarze Beläge auf der Zunge und auch auf den Zähnen bilden, darüberhinaus wird die Geschmacksempfindung beeinträchtigt. Nach Operationen und in Phasen nur eingeschränkt möglichen Zähnebürstens kann Chlorhexidinlösung sinnvoll angewendet werden.

Unter Zufuhr von Nahrungssubstrat (Zucker) erfahren die Stoffwechselprozesse in der bakteriellen Plaque eine rasante Beschleunigung, meßbar durch den raschen pH- Abfall innerhalb von 2 bis 4 Minuten. Da Saccharose, bestehend aus einem Molekül Glukose und einem Molekül Fructose, von Streptococcus mutans ohne weitere Umbauvorgänge in das Netzwerk extrazellulärer Zucker der bakteriellen Plaque integriert werden kann, ist sie der kariogenste Zucker gegenüber allen anderen Zuckerarten. Schon ganze zwei Körnchen Haushaltszucker bewirken den pH- Abfall mit anschließender verstärkter Demineralisation der Zahnhartsubstanzen. Wenn man also auf Zucker nicht verzichten kann oder will, dann ist es unter Beachtung der Kariesprophylaxe sinnvoll, die Aufnahme von Süßigkeiten auf die Hauptmahlzeiten zu beschränken, (wobei die Menge für das kariogene Potential weitgehend unerheblich ist), anstatt über den Tag verteilt geringe Mengen aufzunehmen. (Bonbons und Dauerlutscher für Kinder sind daher abzulehnen, da sie nicht dafür gedacht sind, zu den Hauptmahlzeiten genossen zu werden. Ganz besonders muß darauf hingewiesen werden, daß zuckerhaltige Tees und Säfte Kleinkindern keinesfalls in einer Nuckelflasche gegeben werden dürfen, aus der sie sich nach Bedarf selbst versorgen, möglicherweise sogar zum Einschlafen. Nach kurzer Zeit bleiben von sämtlichen Milchzähnen nur kariöse Stummel übrig, was die Entwicklung der Kinder enorm beeinträchtigt, von den Schmerzen und Entzündungen ganz abgesehen. Ungesüßte Getränke sind das Mittel der Wahl gegen Durst, sind die Eltern hingegen der Meinung, daß es unbedingt zuckerhaltige Tees oder Säfte sein müssen, so dürfen diese nur in normalen Tassen verabreicht werden, die von den Eltern gehalten werden. Gezuckerte Milch und Kakao sollten ebenfalls den Hauptmahlzeiten vorbehalten bleiben, besser aber ist für Kinder ab 6 Monaten ungesüßte H- Milch, die ab diesem Zeitpunkt bereits problemlos vertragen wird.)

Das sofortige Zähnebürsten nach den Mahlzeiten wirkt dem nahrungsverursachten pH- Abfall entgegen.

Festzustellen ist mithin, daß ohne bakterielle Plaque und ohne niedermolekulare Zucker die Zähne keine Karies bekommen können.
Vollständige Zuckerfreiheit in der Ernährung und vollständiges Beseitigen aller, aber auch wirklich aller bakteriellen Beläge nach jeder Mahlzeit und an jeder noch so schwer zugänglichen Stelle an jedem Zahn sind jedoch nur sehr schwer realisierbar, wenngleich durch eine in der Praxis erarbeitete individuelle Bürsttechnik, durch Benutzung von Zahnseide zur Reinigung schwer zugänglicher Zwischenräume etc. permanent versucht wird, sich diesem Ideal anzunähern.

Fluoride
Selbst bei hoher Kariesanfälligkeit gibt es jedoch ein Mittel, was die Bemühungen um eine effektive Bürsttechnik und die Beschränkung der Zuckerzufuhr auf die Hauptmahlzeiten wirksam unterstützt: Fluoride in verschiedenen Darreichungsformen.
Durch ihre Anwendung konnte in allen hochentwickelten Ländern ein erheblicher Kariesrückgang verzeichnet werden.
Wirkungen:
1. Senkung des Löslichkeitsproduktes von Hydroxylapatit in den Hartsubstanzen durch Bildung von bis zu 10% Fluorapatit. Die Zähne werden gegen des Säureangriff widerstandsfähiger.
2. Hemmung der Stoffwechselvorgänge von Bakterien durch Enzymhemmung, dadurch Hemmung ihrer Vermehrung.
3. Begünstigung der Remineralisation von Mikrodefekten der Zahnhartsubstanzen - durch diesen Prozeß werden die Zähne immer widerstandsfähiger.
Die drittgenannte Wirkung der Fluoride ist zugleich deren Hauptwirkung, während den anderen beiden Mechanismen nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Es erscheint klar, daß für diesen Mechanismus eine möglichst konstante Fluoridzufuhr in kleinen Dosen nötig ist. Dies kann durch Zusätze von Fluoriden in Zahnpasta erfolgen, durch die Speisesalzfluoridierung, durch Tabletten und durch Touchierlösungen, die in der Zahnarztpraxis aufgetragen werden.
Um eine Überdosierung bei Kindern zu vermeiden, die zu einer Dentalfluorose mit weiß- braunen Verfärbungen der bleibenden Zähne führt, was aber in dieser Form nur eintreten kann, wenn während einer Überdosierung die bleibenden Zähne noch nicht durchgebrochen sind, ist es nötig, eine Fluoridanamnese zu erheben.
Bei niedriger Kariesanfälligkeit und hohem Engagement der Eltern beim Zähnebürsten des Kindes genügt die Anwendung fluoridhaltiger Kinderzahnpasten. Ab dem 6. Lebensjahr, in besonderen Fällen auch schon ab dem 4. Lebensjahr kann in der Praxis zusätzlich fluoridhaltiger Lack auf die Zähne aufgetragen werden. Erfahrungsgemäß tolerieren dies aber Kinder unter 6 Jahren nur schlecht, auch wenn das Einpinseln völlig harmlos und schmerzfrei ist.
Die von den Krankenkassen bezahlte zweimalige Touchierung im Jahr allein reicht aber keinesfalls aus, wenn nicht zugleich fluoridhaltige Kinderzahnpasten zur Anwendung kommen, da nur dadurch der Forderung nach einer möglichst konstanten Zufuhr in kleinen Mengen entsprochen werden kann.
Liegt ein höheres Kariesrisiko vor, z.B. starke Abwehr des Kindes gegen das Nachbürsten durch die Eltern, hohe Kariesanfälligkeit der Eltern oder von Geschwistern oder bereits notwendig gewordene Füllungstherapie, so werden die beschriebenen Maßnahmen nicht reichen. Eine bessere Fluoridzufuhr ermöglichen in diesen Fällen Fluoridtabletten (Fluoretten, Zymafluor etc.). Entgegen früheren Empfehlungen ist eine Dosierung von 0,553 mg Natriumfluorid, das entspricht 0,25 mg Fluorid bis ins Erwachsenenalter bei täglicher Gabe nach dem abendlichen Zähneputzen ausreichend, eine Überdosierung und eine Dentalfluorose werden damit sicher vermieden, vorausgesetzt, es gibt keine weiteren Fluoridquellen. Betrifft die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz die Nahrungszubereitung kleinerer Kinder zunächst kaum, kann diese bei älteren Kindern durchaus ins Gewicht fallen. Auch fluoridhaltige Zahnpasta sollte bei der Tablettenfluoridierung nicht verwendet werden, da insbesondere kleine Kinder dazu neigen, diese zu verschlucken.

Erwachsene benutzen bei nicht erhöhtem Kariesrisiko gleichfalls fluoridhaltige Zahnpasten, auch fluoridhaltige Mundspüllösungen; fluoridierte Zahnseide ist sehr wirksam zur Verhinderung von Approximalkaries (Flächen zwischen den Zähnen). Moderne Füllungsmaterialien geben zur Sekundärkariesprophylaxe ebenso kleine Mengen Fluoride ab. Halbjährliche Fluoridierungsmaßnahmen ergänzen die Zufuhr, ebenso die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz. All diese Maßnahmen können kombiniert werden, besteht doch die Gefahr einer Dentalfluorose bei Erwachsenen nicht mehr. Da Erwachsene Zahnpasta und Mundspüllösungen im allgemeinen nicht verschlucken, (von den Astronauten auf der ISS einmal abgesehen), können all diese Fluoridierungsmaßnahmen die Tagesmaximaldosis von 20 mg Fluorid nicht annähernd erreichen, ab der es zu Skelettveränderungen und Verknöcherungen in Bindegeweben kommen kann. Andere Verhaltensweisen sind nur in Gebieten mit hohem Fluoridgehalt in Böden und Trinkwasser nötig, z.B. in Gebieten mit Vulkanasche.
In nicht wenigen Fällen steigt bei Erwachsenen ab dem 45. Lebensjahr das Kariesrisiko wieder an. Verringerte Immunabwehr, insbesondere bei Diabetes mellitus Typ II und anderen Erkrankungen führen mitunter zur raschen Zerstörung der Zähne vor allem durch Zahnhalskaries. In diesen Fällen hilft die Gabe von täglich 2,212 mg Natriumfluorid (entspricht 1,0 mg Fluorid) als Tablette zum Lutschen nach dem abendlichen Zähnebürsten. Diese Therapie sollte dann lebenslang fortgeführt werden. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, daß spätestens 3 Monate nach dem Absetzen der Tablettenfluoridierung die frühere hohe Kariesanfälligkeit wieder da ist. Obwohl es sich um eine sehr wenig aufwendige und sehr kostengünstige Prophylaxemaßnahme handelt, lehrt die Praxis, daß viele ältere Patienten die Tablettenfluoridierung nach einigen Monaten wieder beenden, was ziemlich bedauerlich ist.   

Fissurenversiegelung
Erhalten Kinder eine systemische Fluoridzufuhr, z.B. durch Tablettenfluoridierung während der Entwicklung der bleibenden Zähne im Kiefer, so mineralisieren die Fissuren der Molaren meistens vollständig zu, eine Fissurenversiegelung erübrigt sich. Bestehen aber nach dem Durchbruch enge und schmale Fissuren, so kann aus diesen trotz größter Bemühungen der Zahnbelag nicht entfernt werden; daher gehören Fissuren zu den Prädilektionsstellen für Karies, zu den Stellen, wo Karies vornehmlich entsteht. Dem kann mit der Fissurenversiegelung begegnet werden. Nach Schaffung eines Retentionsmusters im Zahnschmelz durch Anätzen mit Phosphorsäure wird fließfähiger Kunststoff aufgetragen, der am Zahnschmelz haftet und die Fissur vollständig ausfüllt. In mehreren Studien wurde schon in den 1980er Jahren die Wirksamkeit dieser Maßnahme zur Zahnerhaltung eindrucksvoll bewiesen.
Ist bereits eine initiale Fissurenkaries vorhanden, so gestaltet sich der Übergang zur minimalinvasiven Füllungstherapie fließend (siehe Beitrag 4/2012).